Unter den rund 40 Kinos in Wien, Salzburg und Graz, die der in Mährisch-Ostrau geborene und in Wien gestorbene Architekt Robert Kotas (1904–1973) neu und umgebaut hat, ist das Wiener Gartenbaukino wahrscheinlich das prominenteste. Es befindet sich im Haus Parkring 12, das 1958 bis 1961 von Erich Boltenstern und Kurt Schlauss anstelle der 1959 abgebrochenen Gartenbausäle der Gartenbaugesellschaft errichtet wurde. Eröffnet wurde das Kino am 19. Dezember 1960 mit Stanley Kubricks Film „Spartacus“ in Anwesenheit des Hauptdarstellers Kirk Douglas.
Das Kino hatte ursprünglich 900 Sitzplätze, 1961 wurde eine Cinerama-Leinwand installiert, weshalb das Fassungsvermögen auf 840 Personen reduziert werden musste. 1982 entfernte man eine Sesselreihe, was das Fassungsvermögen des Kinosaales neuerlich reduzierte, auf 736 Sitzplätze. Mitte der 90er-Jahre musste wegen eines Wasserschadens die Fassade erneuert
werden. Die alte Mosaikfassade wurde mit Nirosta verkleidet, der Eingangsbereich neu beleuchtet und die Anzeigetafel erneuert. Auch alle Beschriftungen am Außenbau wurde nach dem Vorbild der historischen Schriftzüge gestaltet.
Wiens letztes Großraumkino
Bei der Generalsanierung des Wiener Gartenbaukinos stand die Rückführung in den von Robert Kotas 1960 hinterlassenen Originalzustand im Vordergrund. Unter der Leitung von Architekt Manfred Wehdorn rekonstruierten die Restauratoren PVC-Böden, Deckenpaneele, Barmöbel und Beleuchtungskörper.
Generalsanierung
2019 wurde der Wiener Architekt und „Denkmalschutzpapst“ Manfred Wehdorn mit einer umfangreichen Machbarkeitsstudie nach wissenschaftlich-denkmalpflegerischen Grundsätzen zur Sanierung des Gartenbaukinos beauftragt. Die Methodik der Vorgangsweise wurde mit dem Bundesdenkmalamt bis in kleinste Details abgestimmt und eine Kostenschätzung erarbeitet, die – darauf verweist Wehdorn mit Stolz – mehr oder minder genau mit dem Ergebnis der Schlussabrechnung zusammenstimmt.
Die Generalsanierung hatte zwei Hauptzielrichtungen: einerseits die weitestgehende Erneuerung der gesamten Haustechnik, nicht zuletzt der Lüftungsanlage für den Kinosaal, andererseits die optische Sanierung in Hinblick auf den Bestand aus dem Jahre 1960. Sicherheit und Fluchtwegplanung waren ebenfalls von wesentlicher Bedeutung. Im Vordergrund stand die Erhaltung der Originalsubstanz. Vieles davon war auch für die Restauratoren Neuland, etwa die Restaurierung der PVC-Böden. Manchmal war die Rückführung zum originalen Erscheinungsbild Glückssache, etwa bei den Deckenpaneelen im Bereich außerhalb des Kinosaals. Diese ursprünglich stark plastisch gearbeiteten Gipsplatten mit je einer Lampe im Zentrum der Platten waren bei der ersten Sanierung durch glatte Deckenplatten ersetzt worden. Zufällig fanden die Restauratoren zwei Originalplatten, so konnte die Originaldecke mit 475 Platten rekonstruiert werden.
Historische Beleuchtungskörper
Rekonstruiert wurden auch rund 60 historische Beleuchtungskörper, wie etwa die Schwanenhalsleuchten im unteren Foyer und die Leuchten in den Toilettenanlagen, die auf einer antiken Sammlerbörse gefunden wurden. 60 Reflektorleuchten mit insgesamt 120 Glühbirnen befinden sich außerdem in den 650 seitlichen Wandpaneelen des Kinosaals. Sie bestehen aus Holz, Textil und Metall und sind mit Rund- und Langloch ausgebildet. Die Lampen sowie die Paneele wurden in fünf verschiedenen Farbtönen wiederhergestellt.
Im unteren Foyer konnten die Restauratoren anhand von zwei Aufnahmen die originle Deckenbemalung über der Bar erneuern. Auch die Bar selbst wurde dem Originalmöbel nachempfunden, zumindest dort, wo sich das von den funktionalen und technischen Anforderungen der heutigen Zeit umsetzen ließ.
Erneuert werden musste der Bodenbelag im Kinosaal, der von Anfang an aus PVC bestand und der – im Gegensatz zu allen anderen Kunststoffböden in den Foyers und Gängen – stark verschlissen war. Der 30 Jahre alte große Bühnenvorhang an der Stirnwand des Saales konnte hingegen erhalten werden. Der Vorhang besteht aus fünf Teilen mit insgesamt 325 Laufmetern Stoffbahnen.
Das letzte Großraumkino Wiens
Was nicht in den Originalzustand zurückversetzt wurde, sind die Kinosessel. Harte Sitzflächen und Lehnen aus Holz werden heute nicht mehr akzeptiert. Deshalb wurden die aus den 90er-Jahren stammenden Sessel gepolstert und mit neuen Stoffen bezogen. Heute ist das Gartenbaukino das einzig verbliebene Großraumkino Wiens mit nur einem Saal.
Projekt
Generalsanierung Gartenbaukino, Parkring 12, 1010 Wien
Bauherr
Norman Shetler, Entuziasm Kinobetriebsgmbh, Siebensterngasse 2, 1070 Wien
Architektur
Wehdorn Architekten, Wien
Professor Manfred Wehdorn
Projektleitung, ÖBA:
Markus Deutschländer
Planungsleitung, ÖBA: Victoria Pichler
Statik/Brandschutz/Schallschutz
AXIS Ingenieurleistung, Wien
Projektleitung: Tobias Gerlach, Christian Weiser
Haustechnik
Immo-Objekttechnik, Wien
Gebäudetechnik
Ing. Stefan Fuhrmann e.U., Wien
Baumeisterarbeiten
CIQO GmbH, Wien
Tischlerarbeiten
Holz- und Metallrestaurierungen
Tischlerhandwerk Herbert Reichmann Ges.m.b.H., Aspang Markt
Oberflächenrestaurierungen
Mag. Karl Scherzer, Rückersdorf
PVC-Restaurierungen
Kunstsignet GmbH, Wien
Leuchtenrekonstruktion
Vargha Leuchtenbau- und HandelsgesmbH, Klosterneuburg
Natursteinarbeiten
Breitwieser GmbH, Tulln
Projektdaten
Nutzfläche: 1900 m²
Projektablauf
Planungsbeginn 12/2018
Baubeginn 03/2021
Fertigstellung 10/2021
Materialien
Innenwände: Gipskarton-Trockenbau
Bodenbeläge: Linoleum, Vinyl, PVC, Teppichfliesen
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