358 Interior Design

Wahre Werte

© Cork Units
Es geht auch in Kork: Special Edition von Studio Niruk für Cork Units, gegründet von Joana Silva & Mariana Alves
© Cork Units

Den Blick auf das Wesentliche lenken und es für alle sichtbar machen: Dieser Aufgabe verschreiben sich immer mehr Designer und Unternehmen der Einrichtungsbranche.

von: Barbara Jahn

Die Welt hat wohl eine Atempause gebraucht, um wieder das zu entdecken, was nicht nur auf den ersten Blick wichtig scheint, sondern tatsächlich etwas wert ist. Diese Erkenntnis fruchtet zwar nicht überall dort, wo man so weitermacht wie bisher, jedoch hat der Dämpfer in der Möbelindustrie zu einem breiteren Umdenken geführt. Dieses offenbart sich unter anderem in der Tatsache, dass sich das gute alte „Klasse statt Masse“ durchzusetzen beginnt, ein Phänomen, das die Aufmerksamkeit zurücklenkt auf Kleinserien und Unikate, die einen besonderen Reiz auszuüben scheinen.

Nicht mehr um jeden Preis
Damit geht allerdings vielmehr einher, als nur ein Stück zu besitzen, das aus einer limitierten Edition stammt. Der Blick reicht viel weiter als bis zum Tellerrand des reinen Konsumierens und stellt ein neu heranwachsendes Wertebewusstsein auf die Bühne vor das Publikum einer mittlerweile ziemlich wohlstandsverwahrlosten Wegwerf-Gesellschaft. Darin finden sich etwa eine verstärkte Affinität zu Handwerk und Tradition, Wurzeln werden wiederentdeckt und neu betrachtet, die Endlichkeit der Ressourcen und von Flächen rückt in den Fokus: Nennen wir es Gewissen, das im Prinzip nur das einmahnt, was wir ohnehin schon alle wissen und wovor wir uns fürchten, obwohl unser Verhalten der beste Beweis dafür ist, dass wir es nicht zugeben wollen.
Auf dem Supersalone in Mailand, der als optimistisches Lebenszeichen einer ganzen Branche Anfang September stattfand, waren diese Botschaften unmissverständlich herauszulesen. Allein schon das Ausstellungskonzept auf der Messe schlug in eine Kerbe, die noch ganz frisch ist: Ein herrlich angenehm überschaubarer Parcours verteilt auf nur einem Sechstel der Messehallen, gestaltet aus demokratisch verteilten Standflächen, die jeweils zwischen einem und drei Produkten des jeweiligen Herstellers zeigten. Allein hier ist das berühmte „Weniger ist mehr“ angekommen. All diejenigen, die sich ohnehin in Mailand einen eigenen Schauraum leisten, luden dorthin ein: Kaum laute Partys, stattdessen Begegnungen voller Herzlichkeit und jener Freude, die eine Digitalisierung der Analogie niemals abringen wird. Allein hier lassen sich die neuen Werte festmachen.

Die Besonderheit des Augenblicks
Einer, der ganz stolz in seinen übrigens ganz frisch eröffneten Schauraum in Mailand einlud, ist Axel Meise, der mit dem neuen Occhio-Showroom auf dem noblen Corso Monforte, wo sich das Who-is-Who des italienischen Lichtdesigns aneinanderreiht – von Flos über Artemide bis zu Foscarini –, als erster Nicht-Italiener wirklich Mut beweist. Doch der gegenseitige Respekt voreinander zeugt von einer Wertschätzung, die vielleicht vor der Pandemie nicht so in dieser Form möglich gewesen wäre. Ganz abgesehen davon wartet Meise, dessen Besonderheit ja ist, Eigentümer und Designer in einer Person zu vereinen, mit spannenden Neuheiten auf. Doch nicht das, was man vielleicht erwarten würde: Occhio bleibt seiner überzeugten Linie treu und behält sein schlankes Portfolio bei, das aus drei Produktlinien besteht. Doch die wurden mit der Edizione Lusso verfeinert, vor allem in der Materialität und in den Details. Die gesamte Kollektion Mito ist in ausgewählten Materialien wie massivem Marmor, handgenähtem Ascot-Leder oder der neuen Oberfläche black phantom erhältlich. Bei Occhio stand bisher kompromisslos das Licht selbst im Mittelpunkt ebenso wie die Art und Weise, wie man es benutzt und einsetzt, stets verpackt in klares und hochwertiges Design. Mit der Edizione Lusso geht es in der Produktpalette bewusst noch einmal mehr in die Tiefe: Die neue Optik und Haptik erweckt Emotionen und setzt dabei auf die Feinfühligkeit und Sensibilität der künftigen Nutzer.

Die Philosophie des Slow Livings
Schauplatzwechsel: Die Gemeinde Santa Maria da Feira ist das Herz der portugiesischen Korkindustrie. Hier – zwischen der Stadt Porto und dem Atlantik – ist das 2019 gegründete Label Cork Units zu Hause, das aus den Rinden der Korkeichen seine Produkte fertigt, und zwar direkt vor Ort, denn das Material wird aus den Montados genannten Korkeichenwäldern entnommen. Das Motto: „Natural things belong together.“ Naturkork ist das Ergebnis des Zusammenfügens von Schichten aus festen Korkstreifen. Mit diesem Material bleiben die natürliche Textur und Farbe des Korks erhalten. Industrielle Produktionsschritte werden eingespart, der ökologische Fußabdruck verringert. Zusätzlich setzt Cork Units mit der Verwendung von den geschichteten Materialblöcken auch auf einen besonderen visuellen Effekt: Im finalen Produkt lässt sich immer noch das einzigartige Potenzial des Rohmaterials erkennen und erforschen. Was bleibt, ist eine natürliche Ästhetik, facettenreich und harmonisch zugleich. Die Naturkorkblöcke werden vor Ort produziert und im Anschluss zu Designprodukten verarbeitet. Cork Units erfüllt dabei eine besondere Schnittstelle, denn das Unternehmen ist Produktschöpfer und Hersteller in einem. Hervorgegangen aus einem in dritter Generation geführten Familienunternehmen, welches Kork produziert, hat das junge Label nicht nur einen versierten Blick auf das Material selbst, sondern steht auch mit der Produktion im ständigen Austausch. Cork Units versteht sich als Botschafter dieses nachhaltigen und ästhetischen Materials – und möchte Kork eine vielseitigere Produktions- und Anwendungsbühne bieten. „Wir wollen andere Menschen inspirieren, mehr über Kork und sein großes Potenzial als natürliches und nachhaltiges Material zu erfahren“, erläutern die beiden Gründerinnen. Ihre eigenen Geschichten sind Teil der Markenidentität und prägen die Herangehensweise – vom Entwurf über die Produktion bis hin zu Kommunikation und Vertrieb.

Der Hände Werk
Große Aufmerksamkeit erobert sich das Handwerk zurück, das viele Jahre als Selbstverständlichkeit mitgeliefert wurde. Doch es ist alles andere als das. Wie viel Können und auch Muskelkraft in einem Produkt steckt, weiß der Schweizer Stahlplastiker Andreas Reichlin, dessen Design des Feuerrings im schweizerischen Frauenfeld gefertigt wird. Realisiert werden die archaischen Feuerschalen, die auf die Feuerstelle als gemeinschaftlicher Treffpunkt über Jahrtausende repliziert, von Heiri Gisler, der sich auf das nur noch wenig verbreitete Handwerk des Blechdrückens versteht. Ring und Schale werden zu einer Form verschweißt und lassen so ein Objekt entstehen, das Ästhetik und Funktionalität in sich vereint. Auf geschickte Hände setzt auch der spanische Designer Álvaro Catalán de Ocón, der mit seiner Teppichkollektion Plastic Rivers für Gan Rugs einer der großen Abräumer in Mailand war: Er wurde in der renommierten Galerie der Künstlerin und Visionärin Rossana Orlandi mit dem Ro Plastic Preis 2021 in der Kategorie Urban Public Furniture Design ausgezeichnet. Rossana Orlandi und ihre Tochter Nicoletta Orlandi Brugnoni möchten mit der Initiative RoGUILTLESSPLASTIC die Designgemeinschaft zur Wiederverwendung und zum Recycling von Kunststoffabfällen ermutigen. Die Kollektion der handgeknüpften Teppiche besteht zu 100 Prozent aus rezyklierten PET-Garnen und stellt die Flüsse Ganges, Yangtze, Indus und Niger dar.
Wie bepreist man etwas, das sich entgegen der immer noch verbreiteten Strömung des gewissenlosen Konsums immer stärker behauptet und Gehör verschafft, das mit intelligenter Technologie und/oder ehrlichem Handwerk mit viel Bewusstsein gegenüber der Ernsthaftigkeit eines globalen Problems entsteht, gemacht von Menschen, die sich dieser wichtigen Sache annehmen und nach Hochwertigkeit im Sinne einer echten Nachhaltigkeit trachten? Die erste Frage eines Konsumenten wird also sein: „Woher kommt es? Was kann es? Wie wird es gemacht?“, und nicht die nach dem Preis. Denn den tatsächlichen Preis zahlen wir alle, wenn wir unsere Denkweise nicht gesunden lassen.

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