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Stahlhart und knochentrocken

© CC_AS 4.0 / JArnhem
Mit Längen bis zu 25 Metern ließen sich die geschwungenen Glasfassaden des Arnhem Centraal nur als Stahlkonstruktion freitragend realisieren.
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Die Planung und Realisierung von großformatigen Fassadenflächen ist ein Spagat zwischen gestalterischen Anforderungen und der Erfüllung von baulichen Erfordernissen. Hier ermöglicht die Verwendung von Stahl höchste Nutzungsflexibilität.

Lange Zeit waren die Möglichkeiten von Baustoffen begrenzt, über viele Jahrhunderte prägten Holz und Stein die gebaute Umwelt. Konnte der Baumeister früher außer Holz nur auf Druck beanspruchte Materialien nutzen, die die Spannweite drastisch einschränkten, so eröffnete die Entdeckung von Eisen, Gusseisen und Stahl als Baumaterial ungeahnte Möglichkeiten in puncto Spannweite und Gebäudehöhe. Die industrielle Revolution Ende des 19. Jahrhunderts und die dadurch größere Verfügbarkeit von Gusseisen als Baustoff für Konstruktionen führte zu einem Bruch mit den bis dato überlieferten Formvorstellungen. Diese Entwicklung erforderte ein Umdenken in der Architektur sowie der Ingenieurs­kunst: in der Konstruktion, der Funktion und in der Gestaltung. Denn das neue ­Material ermöglichte es, die materielle Schwere der Konstruktion zu überwinden.
Schlanke Rahmen mit biegesteifen Knoten und Fachwerken bilden ein ergänzendes Sekundärtragwerk und erlauben offene, flexibel nutzbare Grundrisse – unabhängig von der Fassade und deren Öffnungen. Die ersten ingenieurtechnischen Prototypen mit weit gespannten Tragwerken entstanden im Zuge des Ausbaus von Eisenbahnstrecken in Form von eisernen Bahnhofsdächern.
Als Höhepunkt dieser neuen Typologie gilt der 1851 anlässlich der Weltausstellung in London errichtete Kristallpalast (Bild unten). Für den Entwurf und die Umsetzung verantwortlich war der britische Gärtner Joseph Paxton, der schon geraume Zeit mit Eisen-­Glas-Konstruktionen für seine Gewächshäuser experimentierte. Leicht und grazil saß die mächtige Konstruktion aus Eisen, Glas und Holz mit über drei Geschoßen im Hyde Park. Modular aus vorgefertigten Eisen­teilen und Glassegmenten hergestellt und in kurzer Bauzeit errichtet und wieder demontierbar, stand dieser Bau stellvertretend für den Beginn der Glas-Stahl-Architektur moderner Hochhauskonstruktionen. Als „die Verwirklichung eines neuen Baugedankens, für den es kein Vorbild gab“, hebt Sigfried Giedion in seinem Buch „Space, Time and Architecture – The Growth of A New Tradition“ die Sonderstellung dieses Bauwerks hervor.

Glas-und-Knochen-Architektur
Die ersten in Glas aufgelösten Fassaden entstehen nun auch für Industriebauten,um die Arbeitsbedingungen mithilfe von Tageslicht, Sonne und Luftwechsel in den Produktionsstätten zu verbessern und dadurch die Arbeitsleistung zu erhöhen. Ludwig Mies van der Rohe entwirft mit seinem Wettbewerbsbeitrag für ein Hochhaus in Berlin 1921 seine Vision einer „Glas-und-­Knochen-Architektur“, deren tragende Stahlkonstruktion von einer transparenten Glashaut überzogen ist. Industriematerial­ien, funktional schlicht und formal zurückhaltend, erfahren eine neue Beachtung. Vor diesem Hintergrund ist auch der Einsatz von Stahl zu lesen, vom Gebäude bis zum Möbelentwurf. Das Prinzip der Gebäudehülle, die wie ein Vorhang das Primärtragwerk umschließt, ermöglicht die flexible Nutzung der Grundrisse, die unabhängig von der Fassade frei zoniert werden können. Heute sind Vorhangfassaden, vor allem im Büro- und Verwaltungsbau, aber auch bei Kulturbauten und Bauten für die Infrastruktur, von großer Bedeutung für eine wirtschaftliche Errichtung von Gebäuden.
Große Herausforderungen stellen sich auch heutzutage bei der Planung und Realisierung von großformatigen Fassaden­flächen. Es ist ein Spagat zwischen den gestalterischen Anforderungen an maximale Scheibenformate und eine minimierte Tragstruktur und der Erfüllung der baulichen Anforderungen an Schallschutz, Wärmeschutz, Sonnenschutz, Verdunklung, Windlast, Brandschutz und Absturzsicherheit. Als Beispiel kann hier das 2019 eröffnete Futurium in Berlin genannt werden, ein von Richter und Musikowski entworfenes Haus der Zukünfte, das auf drei Ebenen Einblicke in die Welt von morgen gewährt. Zum Einsatz kam eine Sonderlösung als Stahl-Glas-Konstruktion, die nur mit Stahlprofilen umsetz­bar ist, weil diese das System der statischen Lastabtragung umkehren.
Transparent und schwerelos wirkt auch der Arnhem Centraal, der 2015 eröffnete Hauptbahnhof der niederländischen Großstadt Arnheim. Inspiriert von der hügeligen Landschaft um die Stadt entwickelten ­
der Architekt Ben van Berkel und sein ­UNStudio ein organisches Gebäude in Anlehnung an das Prinzip der Kleinschen Flasche, bei dem innen und außen unmerklich ineinander übergehen. Mit Höhen von bis zu sechs und Längen bis zu 25 Metern ließen sich die geschwungenen Glasfassaden enormen Formats nur als Stahlkonstruktion freitragend realisieren.

Eingriffe in historische Bausubstanz
Stahl- und Glaskonstruktionen lassen sich auch gut mit historischen Gebäuden kombinieren. Die von den Architekten Hannes Ritzinger und Claus Ullrich geplante und 2019 fertiggestellte Weinmanufaktur Clemens Strobl in Kirchberg am Wagram besteht aus zwei lang gestreckten Giebelhäusern, die im stumpfen Winkel aufeinandertreffen – das eine original, entkernt und restauriert, das andere als Neubau eines nicht mehr zu rettenden Stadels. Die Weinmanufaktur ist das Kernstück der Anlage rund um den ehemaligen Meierhof von Schloss Winklberg aus dem 19. Jahrhundert, die einen Weinkeller mit originalen Gewölben, einen Verkostungsraum sowie die Büroräumlichkeiten vereint. Verbindendes Element ist eine sich zum Innenhof hin verjüngende Stahlkonstruk­tion, die mit ihren Sprossen auf die Industriearchitektur vergangener Tage verweist.
Die Verwendung von Stahl ermöglicht Architekten und Planern höchste Nutzungsflexibilität durch große Spannweiten sowie hohe Wirtschaftlichkeit durch minimierte Querschnitte. Doch neben seinem gestalterischen und ökonomischen Potenzial ist Stahl auch wertbeständig und erlaubt nachhaltiges Bauen. Denn Stahl wird nicht verbraucht, sondern stets ohne Qualitätsverlust wieder genutzt: Durch seine hundert­prozentige Recyclingfähigkeit ist er ein regenera­tiver Baustoff mit geschlossenem Werkstoffkreislauf. 

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