Längst hat die Diskussion über die „Verschandelung Österreichs“ eine breite Öffentlichkeit erreicht. Ortszentren verkommen, Klone von Mode-, Schuh- und Lebensmitteldiskontern prägen das Bild von Ortseinfahrten. Historisch mit architektonischen Schätzen gesegnet, scheint man sich in Österreich an eine anspruchs- und ideenlose Bauweise gewöhnt zu haben, die immer mehr Flächen beansprucht. Engagierte Baukultur verkommt dabei zur Ausnahme. Als Teil des Problems gilt der Mangel an bindenden Richtlinien. Um dem zumindest durch Empfehlungen entgegenzuwirken, wurden im Sommer die „Baukulturellen Leitlinien“ erarbeitet. Das 17-seitige Manifest wurde im August im Ministerrat beschlossen.
Die Leitlinien wurden in einem breit aufgestellten, offenen partizipativen Prozess mit Online-Befragungen und öffentlichen Diskussionsrunden erstellt. Vor der Einbringung in den Ministerrat arbeitete der Baukulturbeirat im Bundeskanzleramt weiter, bis die Inhalte einstimmig angenommen werden konnten. Alle Ministerien, aber auch Länder, Wirtschaftskammer, Bundesdenkmalamt und Architektenkammer sind im Baukulturbeirat aktiv vertreten.
Es geht darin um klare Richtungsvorgaben. So heißt es im Dokument: „Gute Baukultur wird als nachhaltig, schön und geschlechtergerecht bezeichnet“. Renate Hammer von der Plattform Baukultur verweist auf die seit 1989 gesetzliche Pflicht zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt, die in den Leitlinien besonders ernst genommen werden. Dies zeige sich etwa bei der Planung und Gestaltung von öffentlichem Raum und dessen soziale Sicherheit durch Einsehbarkeit und Beleuchtung. Spielbereiche und ausreichende Sanitäranlagen müssten geschlechtsspezifisch geplant und Bildungs- und Betreuungszentren in ländlichen Räumen forciert werden.
Vorleben, nicht vorschreiben
Die Selbstbindung des Bundes an die Leitlinien soll auch für andere Akteure Vorbildcharakter erreichen. Baukulturelle Aspekte seien auch in den meisten anderen europäischen Ländern nicht gesetzlich verankert, merkt Robert Temel, selbst Mitwirkender bei der Ausarbeitung der Leitlinien, an. Es gebe immer wieder Anpassungen, die während der Prozesse gesetzliche Änderungen nach sich zögen. Dies sei auch in Österreich geplant.
Für Volker Dienst, bisher Sprecher der Plattform Baukulturpolitik, bleiben trotz uneingeschränkter Zustimmung zur Initiative einige offene Fragen wie: Wer wird künftig für Baukultur im Parlament kämpfen? Wer wird die Leitlinien beschließen und wer wird sie befolgen? Oder wird Baukultur in Österreich zur Selbstbeschäftigung engagierter Planer - während unsere Ortszentren verkommen und die restliche Landschaft zubetoniert wird? Seitens der Politik vermisst er klare Positionen, Strategien gegen die Zersiedlung wertvoller Bodenflächen, leerstehende Ortszentren und Shoppingcluster am Kreisverkehr, zudem konkrete Maßnahmen zugunsten leistbarer Wohnqualität.
Durch die politischen Rahmenbedingungen ist noch nicht klar, wie weit sich der neu zu konstituierende Nationalrat mit den Leitlinien befassen und Gesetzesmaterien daran orientieren wird. Dies wäre wünschenswert und notwendig und auch in Bezug auf das Wettbewerbswesen ein entscheidendes Statement für den Architektur- und Kulturstandort Österreich.
Die „Baukulturellen Leitlinien“ sind online nachzulesen unter kunstkultur.bka.gv.at