Der Raum im Raum
In der finnischen Stadt Lappeenranta hat man es im Sinne moderner multifunktionaler Kulturbauten gewagt, das Shoppingerlebnis mit Bühnenhighlight zu verknüpfen. Auf dem Dach eines Einkaufszentrums, in dem auch Kulinarik und ein Hotel eingezogen sind, wurde von ALA Architects aus Helsinki ein Theater mit zwei Bühnen, einem Probensaal, Foyer und allem anderen für den Betrieb Notwendige aufgesetzt. Spannend ist, dass sich die Infrastruktur mit Garderoben, Kostüm und dergleichen um die Bühnenräume reiht. Nur ein umlaufender Korridor trennt die Bereiche voneinander und es entsteht der Raum im Raum. Über Fugen sind die Bühnenräume vom restlichen Gebäude entkoppelt, sodass die Schallentwicklungen beider Funktionen des Gebäudes nicht interferieren. Gelungen ist das durch eine zweischalige Konstruktion, wobei die inneren Oberflächen schwimmend realisiert wurden, unterstützt von Polyurethan-Elastomer-Streifen und Steinwolle. Für ein diffuses Klangbild sorgen die reflektierenden Paneele aus nicht brennbaren, beweglichen MDF-Platten, die je nach Anforderung an die Akustik entsprechend adaptiert werden können. Zusätzlich wurden über den Sitzreihenzugängen gekrümmte Reflektoren aus Gipskarton eingebaut, um den Klang möglichst gleichmäßig im Saal zu verteilen. Hinter den Paneelen, aber auch an der Decke und an der Rückwand wurden schließlich schalldämpfende Elemente mit Wollfilz verbaut, um Rückhall, Echos und Dröhnen abzufedern. Im kleinen Saal, der frei konfigurierbar ist, kommen perforierte Gipsplatten zum Einsatz, die zusätzlich von schallabsorbierenden Vorhängen unterstützt werden können.
Wellen aus Schall und Wasser
Am anderen Ende der Erdkugel haben die Rojkind Arquitectos am Golf von Mexiko die Tradition von Kulturbauten am Wasser neu aufgenommen. Das Konzerthaus Foro Boca in Boca del Rio bei Veracruz ragt als Monolith aus Stahlbeton wie ein Wellenbrecher aus aufgehäuften Gesteinsbrocken am Ufer aus dem Boden und steht in Sachen Spektakularität den Opernhäusern in Oslo, Hamburg und Sydney um nichts nach. Wieder geht die Kultur weit über das Gebäude hinaus, wieder ist es ein Treffpunkt zwischen Kunst und Alltag, Beruf und Freizeit, und auf diese Weise so zeitgemäß, wie es nur sein kann. Die unregelmäßigen Flächen dienen als Projektionsflächen für Zuschauer und Zuhörer unter freiem Himmel und spiegeln das wider, was den Besucher drinnen erwartet: Eine dreidimensionale Verschachtelung aus Sichtbeton und Holzschalungen, in der sich zwei Säle, Foyer, Cafeteria, Aufnahmestudio, Musikbibliothek, Treppen, Galerien und eine Dachterrasse eröffnen. Während die allgemeinen Räume mit unverkleideten Decken, Natursteinplatten und Betonwänden eher schallhart umgesetzt wurden, wobei an einigen Stellen Akustikputz und Elemente aus Parota-Holz als Absorber eingesetzt wurden, sind die Säle akustisch fein justiert, um das perfekte Klangerlebnis für Konzert und Theater anzubieten. Hier wurden Teppiche und textile Stuhlbezüge miteinkalkuliert, vor allem aber ist es eine segelartige, beleuchtete Struktur aus Holz, die den Zuschauerraum dominiert und an die Holzverschalungen des Saales anknüpft.
Ein neues Verständnis
Allen Projekten gemeinsam ist, aus der Kultur ein Gesamterlebnis zu machen. Fehlen darf es an nichts und schon gar nicht an einer brillanten Akustik. So entwickeln sich auch Theater- und Konzerthäuser immer mehr zu multifunktionalen Gebäuden, die sich auf jeden Menschen und auf jeden Geschmack einlassen können, ohne jedes Mal gleich alles auf den Kopf stellen zu müssen. Und sie sind identitätsstiftend für Stadtviertel und ganze Städte, wahrgenommen als Wahrzeichen ihrer Zeit, die für ausgesprochene Kulturfreaks und geneigte Globetrotter manchmal auch zu gefragten Pilgerstätten werden. Es könnte ruhig noch viel mehr davon geben. Aber dazu braucht es vor allem eines: ein offenes Ohr.
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