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Piano bis Forte

© Stefan Müller
Nikolaisaal in Potsdam von Hegger + Hegger + Schleif in Zusammenarbeit mit Rudy Ricciotti Architects
© Stefan Müller

Sie ziehen ihre Besucher schon vor dem ersten Ton in ihren Bann: Moderne Konzertund Theatersäle, die den Klang zu einem architektonischen Parameter machen.

von: Barbara Jahn

Konzertsäle waren immer schon ein wunder­barer optischer Rahmen für ein kultu­relles akustisches Erlebnis. In den ver­gangenen Jahrhunderten wurde an den perfekten architektonischen Bedingungen gefeilt, damit der Ohren- auch zum Augenschmaus wird und vice versa. Heute arbeitet man mit ganz anderen Methoden, um alles miteinander im wahrsten Sinne des Wortes „in Einklang zu bringen“. Und man würde niemals vermuten, auf welch viel­fältige Weise das gelingen kann.

Aus der Geschichte lernen
Als im Jänner 1995 das Teatro La Fenice bis auf die Grundmauern abbrannte und auch wir Studenten, die damals in Venedig ihre Auslandssemester absolvierten, fassungslos vor den noch rauchenden Nebelschwaden standen, begann eine neue Zeitrechnung. Die Restaurierungsarbeiten für die Wieder­eröffnung, bei denen paradoxerweise erstmals auch ein Feueralarmsystem eingebaut wurde, waren in den letzten Zügen, Woody Allen war für den ersten und zweiten Februar mit seinen legendären Klarinettenkonzerten angesagt. Der für seine wunderbare Akustik berühmte Bühnensaal lag in Schutt und Asche, aus der sich Phoenix wieder – und damit zum dritten Mal – erheben sollte. Ein Schicksal, das einige Opernhäuser und Konzertsäle durch Krieg, Feuer und Zerstörung teilen. Die Optik ist vielleicht in der einen oder anderen Weise verloren gegan­gen – die Akustik jedoch nicht.

Akustischer Höhenflug
Und es ist viel Neues entstanden, wie zum Beispiel das neue Probenhaus für das Luzer­ner Sinfonieorchester im Schweizer Kriens, welches das Architekturbüro Enzmann Fischer in Zusammenarbeit mit Konstrukt Architekten auf dem Gelände des ehemaligen Schlachthofes errichtete. Es ist Teil eines architektonischen Ensembles mit Musikhochschule und Kulturzentrum, das mit seinem Vorplatz zu einem neuen Treffpunkt geworden ist. Der im zweiten Obergeschoß und damit über und neben sämt­lichen Probe-, Sitzungs-, Lagerräumen und Büros sowie Aufenthaltsräumen für die Orchester­mitglieder gelegene Probensaal beeindruckt auf vielfältige Weise. Seine räumliche Position ist ideal gewählt, denn höhere Räume auf niedrigere aufzusetzen wirkt sich akustisch vorteilhaft aus. Der 9,5 Meter hohe Saal besteht aus einer ausgefachten Stahlkonstruktion mit Mauern aus Kalksandstein. Um den Schallschutz von außen und innen zu gewährleisten, setzte man auf das Prinzip der Mehrschaligkeit, in diesem Fall eine Kombination aus Massiv- und Leichtbau, die voneinander entkoppelt sind. Beim Innenausbau für optimale Bedingungen in Hinblick auf Klangbildung – sei es das einzelne Instrument oder das ganze Orchester – wurde das Büro Applied Acoustics zurate gezogen. Ausgekleidet wurde der Saal mit hölzernen Vertäfelungen, die sich durch das Zusammenspiel von reflektierenden und absorbierenden Flächen auszeichnen und für einen aus­gewogenen Nachhall sorgen – ganz nach den Vorstellungen der Musiker und Dirigenten. Weiters lässt sich die Akustik des Proben­saals durch Akustikvorhänge adjustieren. So kann man auf die Ensemble­größe und Musikstilrichtung entsprechend reagieren.

Dimensionen sprengen
Von der Höhe geht es nun in die Tiefe, und zwar in eine 1913 vom Schweizer Architekten Hans Schwab erbaute Jugendstilvilla im oberfränkischen Lichtenberg, die den unterirdischen Konzert- und Übungssaal der internationalen Musikbegegnungsstätte Haus Marteau beherbergt. Die nach dem Geiger und Komponisten Henri Marteau benannte Villa, der diese mit seiner Familie bewohnte, ist schon seit den 1980er-Jahren Ausbildungsstätte für junge Musiktalente und kam in den Genuss einer Erweiterung durch den Münchner Architekten Peter Haimerl (ausführlicher Bericht siehe ARCHITEKTURJOURNAL / WETTBEWERBE Ausgabe 6/2021 – 359). Neben der Umgestaltung des Erdgeschoßes und dem Zubau eines Gartengeschoßes ist es vor allem der neue Konzertsaal, den man über eine Art Stollen erreicht – ein Zeichen der Verbindung zum Bergbauwesen der Region. Das Gefühl „unter Tage“ erreicht mit den tetraeder­förmigen Decken- und Wandelementen aus Granit einen optischen Höhepunkt. Aber nicht nur der Optik ist damit gedient, auch die Akustik profitiert von den insgesamt 33 Splittern, die sich entlang einer Unter­kons­truktion aus Stahl über der zentralen und von den Zuschauerreihen flankierten Konzertbühne erheben. Jeder einzelne setzt sich aus über 300 Granitplatten zusammen. Es handelt sich dabei um ein ausgeklügeltes System von Akustikplaner Eckard Mommertz, der eng mit dem Architekten zusammenarbeitete und auf diese Weise die technischen Voraussetzungen für ein warmes, differenziertes Klangbild schuf, das von dem durch die Hohl­räume hinter den Splittern entstehenden Basseffekt untermalt wird.

Neue Töne anschlagen
Nicht weniger spektakulär zeigt sich die vom Architekturbüro Hegger + Hegger + Schleiff in Zusammenarbeit mit Architekt Rudy Ricciotti neu gestaltete ehemalige barocke und bereits in den 1930er-Jahren zum Konzertsaal umgebaute Nikolai-Kirche. Statt Messen werden hier nun Konzerte zelebriert, wobei nur ein Drittel des alten Saales aus den Dreißigern fürs Foyer erhalten wurde und mit dem Neubau des neuen ergänzt wurde. Dieser Übergang vom Barocken ins Moderne mit Zwischenstation in den Dreißigern ist bewusst gewählt. Der eigentliche Konzertsaal schlägt ein neues Architekturkapitel auf, nicht zuletzt aufgrund der organischen Formensprache mit weißen, aus Gips geformten Klangdiffusoren, die sich bündig mit klassischen Putz­elementen abwechseln. Die Saalrückwand ist mit Riegelahorn verkleidet und bildet den Gegenpol zur Kühlheit des Foyers. Als weiteres Stilmittel wird hier das Licht ein­gesetzt, das sich an den Rundungen bricht. Die unterschiedlichen Lichtstimmungen untermalen den akustischen Kulturgenuss.

Der Raum im Raum
In der finnischen Stadt Lappeenranta hat man es im Sinne moderner multifunktionaler Kulturbauten gewagt, das Shoppingerlebnis mit Bühnenhighlight zu verknüpfen. Auf dem Dach eines Einkaufszentrums, in dem auch Kulinarik und ein Hotel eingezogen sind, wurde von ALA ­Architects aus Helsinki ein Theater mit zwei Bühnen, einem Probensaal, Foyer und allem anderen für den Betrieb Notwendige aufgesetzt. Spannend ist, dass sich die Infra­struktur mit Garderoben, Kostüm und dergleichen um die Bühnenräume reiht. Nur ein umlaufender Korridor trennt die Bereiche voneinander und es entsteht der Raum im Raum. Über Fugen sind die Bühnenräume vom restlichen Gebäude entkoppelt, sodass die Schallentwicklungen beider Funktionen des Gebäudes nicht inter­fe­rieren. Gelungen ist das durch eine zwei­schalige Konstruktion, wobei die inneren Oberflächen schwimmend realisiert wurden, unterstützt von Polyurethan-Elastomer-­Streifen und Steinwolle. Für ein diffuses Klangbild sorgen die reflektierenden Paneele aus nicht brennbaren, beweglichen MDF-Platten, die je nach Anforderung an die Akustik entsprechend adaptiert werden können. Zusätzlich wurden über den Sitzreihenzugängen gekrümmte Reflektoren aus Gipskarton eingebaut, um den Klang möglichst gleichmäßig im Saal zu verteilen. Hinter den Paneelen, aber auch an der Decke und an der Rückwand wurden schließlich schalldämpfende Elemente mit Wollfilz verbaut, um Rückhall, Echos und Dröhnen abzufedern. Im kleinen Saal, der frei konfigurierbar ist, kommen perforierte Gipsplatten zum Einsatz, die zusätzlich von schall­absor­bierenden Vorhängen unterstützt werden können.

Wellen aus Schall und Wasser
Am anderen Ende der Erdkugel haben die Rojkind Arquitectos am Golf von Mexiko die Tradition von Kulturbauten am Wasser neu aufgenommen. Das Konzerthaus Foro Boca in Boca del Rio bei Veracruz ragt als Monolith aus Stahlbeton wie ein Wellen­­brecher aus aufgehäuften Gesteinsbrocken am Ufer aus dem Boden und steht in ­Sachen Spektakularität den Opernhäusern in Oslo, Hamburg und Sydney um nichts nach. Wieder geht die Kultur weit über das Gebäude hinaus, wieder ist es ein Treffpunkt zwischen Kunst und Alltag, Beruf und Freizeit, und auf diese Weise so zeitgemäß, wie es nur sein kann. Die unregelmäßigen Flächen dienen als Projektionsflächen für Zuschauer und Zuhörer unter freiem Himmel und spiegeln das wider, was den Besucher drinnen erwartet: Eine dreidimensionale Verschachtelung aus Sichtbeton und Holzschalungen, in der sich zwei Säle, Foyer, Cafeteria, Aufnahmestudio, Musik­bibliothek, Treppen, Galerien und eine Dachterrasse eröffnen. Während die allgemeinen Räume mit unverkleideten Decken, Natursteinplatten und Beton­wänden eher schallhart umgesetzt wurden, wobei an eini­gen Stellen Akustikputz und Elemen­te aus Parota-Holz als Absorber eingesetzt wurden, sind die Säle akustisch fein justiert, um das perfekte Klangerlebnis für Konzert und Theater anzubieten. Hier wurden Teppiche und textile Stuhlbezüge miteinkalkuliert, vor allem aber ist es eine segelartige, beleuchtete Struktur aus Holz, die den Zuschauerraum dominiert und an die Holz­verschalungen des Saales anknüpft.

Ein neues Verständnis
Allen Projekten gemeinsam ist, aus der Kultur ein Gesamterlebnis zu machen. Fehlen darf es an nichts und schon gar nicht an einer brillanten Akustik. So entwickeln sich auch Theater- und Konzerthäuser immer mehr zu multifunktionalen Gebäuden, die sich auf jeden Menschen und auf jeden Geschmack einlassen können, ohne jedes Mal gleich alles auf den Kopf stellen zu müssen. Und sie sind identitätsstiftend für Stadt­viertel und ganze Städte, wahrgenommen als Wahrzeichen ihrer Zeit, die für aus­gesprochene Kulturfreaks und geneigte Globe­trotter manchmal auch zu gefragten Pilger­stätten werden. Es könnte ruhig noch viel mehr davon geben. Aber dazu braucht es vor allem eines: ein offenes Ohr. 

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