„Wir haben fast alle Qualitätskriterien erreicht!“ Rüdiger Lainer, Stadtplaner und einer der maßgeblichen Architekten der „Biotope City Wienerberg“, zeigt sich stolz. Kooperative Quartiersentwicklung, gemeinsames städtebauliches Leitbild, gemeinsames Begrünungs-, Gestaltungs- und
Nutzungskonzept, übergeordnetes Gebietsmanagement – das waren die wesentlichen Kriterien bei der Entwicklung der „Stadt in der Natur“, wie die deutsche Stadtplanerin Helga Fassbinder ihr 2002 publiziertes Konzept nennt. Auf diesem Konzept und den vom verstorbenen Wiener Architekten Harry Glück postulierten Kriterien für sozialen Wohnbau baute der im Eigentum der Stadt Wien stehende Bauträger GESIBA (Gemeinnützige Siedlungs- und Bauaktiengesellschaft) auf. Gemeinsam mit der gemeinnützigen Wien-Süd und dem gewerblichen Bauträger Wiener Heim initiierte die Gesiba ein interdisziplinäres, kooperatives Planungsverfahren für eine grüne Stadt in der Stadt auf den ehemaligen Coca-Cola-Gründen an der Triester Straße. Seit Herbst 2017 in Bau, stehen rund 1000 Wohnungen, Gemeinschaftsräume, Gemeinschaftsgärten, Gewerbeflächen, Kinder- und Jugendspielplätze, eine Schule, ein Kindergarten, ein Bürogebäude und ein Hotel auf dem 50.000 Quadratmeter großen Areal kurz vor der Fertigstellung oder sind teilweise bereits in Betrieb.
Gesicherte Qualitäten
Die Biotope City Wienerberg steht kurz vor der Fertigstellung. Mit viel Grün in der Fläche und an den Fassaden, Gemeinschaftseinrichtungen und leistbarem Wohnraum ist sie auch zum Vermächtnis des Architekten Harry Glück geworden.
Die Biotope City Wienerberg ist die erste Realisierung des Konzepts, mit dem die Stadtplanerin Fassbinder beweisen möchte, dass verdichtetes Bauen und Wohnen im Grünen zugleich möglich sind. In das interdisziplinäre, kooperative Projektentwicklungsverfahren, das auf diesem Leitbild basierte, waren sieben Bauträger, drei Architekturbüros, Fachplaner, der Bezirk sowie die MA 21 Stadtteilplanung eingebunden. Ergebnis war der Qualitätenkatalog, zu dem sich alle gegenüber der Stadt Wien verpflichtet haben, sowie ein darauf basierender Masterplan, den das Architekturbüro StudioVlay im Jahr 2014 entwickelte. Das Areal wurde in 14 Bauplätze unterteilt, die den drei beteiligten sowie weiteren Bauträgern und Architekturbüros zugewiesen wurden. Die Entwürfe wurden dem Grundstücksbeirat vorgelegt, der diese wie bei einem Bauträgerwettbewerb nach den vier Beurteilungskriterien Architektur, Ökonomie, Ökologie und soziale Nachhaltigkeit bewertete.
Rund 600 der knapp 1000 Wohnungen sind mit Wohnbauförderung errichtet. Und da kam den Bauträgern eine Gesetzesänderung im Jahr 2018 gerade recht: Bis dahin war die Wohnbauförderung an eine Deckelung der Baukosten gekoppelt – sie durften die Höhe von 1800 Euro pro Quadratmeter Nutzfläche nicht überschreiten. Damit wäre man nicht durchgekommen, wie die Projektleiter der gemeinnützigen Wohnbauträger GESIBA und ÖSW, Patrick Ritter und Peter Grandits, zugeben. Denn seit den Ausschreibungen der Bauleistungen im Jahr 2017 seien die Preise um rund 30 Prozent gestiegen. Die Aufhebung des Kostendeckels in der Wohnbauförderungsnovelle sei daher sehr wichtig gewesen, betont Ritter.
Vermächtnis des Harry Glück
Wenn man so will, ist die Biotope City auch zum Vermächtnis des Architekten Harry Glück geworden. Ein wesentliches Kriterium, zu dem sich alle Bauträger in der Umsetzung verpflichtet haben, war Glücks Gebäudekonzept, wie er es in zahlreichen sozialen Wohnbauten in Wien umgesetzt hat: leistbaren und nutzerfreundlichen Wohnraum durch Architektur zu schaffen. Tiefe Baukörper, ausreichende Breite und Belichtung sowie Differenzierung der Gänge, eine ökologisch und ökonomisch günstige Geometrie der Baukörper mit sozialem Mehrwert durch Freiflächen oder seine berühmten Schwimmbäder am Dach gehören dazu. Der Entwurf für den auf Bauplatz 5 entstehenden Wohnbau der Wien-Süd stammt noch von ihm, HD Architekten haben ihn weitergeplant. In diesem Wohnhaus befinden sich 98 Wohnungen, rund zwei Drittel davon freifinanzierte und ein Drittel geförderte, 33 davon sind SMART-Wohnungen. Das zentrale Stiegenhaus ist durchgehend natürlich belichtet. Die Wohnungen im Erdgeschoß und ersten Obergeschoß sind Maisonetten und besitzen Eigengärten, alle darüber liegenden haben einen Balkon. Das obligatorische Schwimmbad am Dach fehlt auch nicht.
Unmittelbar daneben, auf Bauplatz 6, errichtet die ARWAG 160 Mietwohnungen und 15 Eigentumswohnungen nach dem Entwurf der Architekten Peretti + Peretti. Auch bei diesem Projekt lobte der Grundstücksbeirat die Fortführung der „Glückschen Wohnbauphilosophie“, auch wenn der Mittelgang zu schmal ausgefallen ist, wie in der Jurybeurteilung zu lesen ist. Drei Wohnbauten mit mehr als 150 geförderten Wohnungen (Bauplätze 4/1, 4/2 und 7) werden von der Gesiba errichtet, die federführend bei der Entwicklung des ehemaligen Coca-Cola-Areals fungiert. Geplant wurden sie von Architekt Rüdiger Lainer, der auch für den auf Bauplatz 3 entstehenden Wohnbau der Bauträger ÖSW und Wohnungseigentum verantwortlich zeichnet. Bei diesem Projekt würdigte der Grundstücksbeirat besonders den Umgang mit der Baumasse, die durch die Knickung des Baukörpers mit einer Höhe von zwölf Geschoßen und einer Länge von rund 85 Metern einer Monotonie entgegenwirke.
Die Bauplätze 10, 11, 12, 13 und 14 wurden vom Architekturbüro BKK-3 für die Bauträger Wiener Heim, BUWOG und Wien-Süd geplant. Diese Projekte wurden vom Grundstücksbeirat nicht beurteilt, ebenso wie der auf Bauplatz 9 vom StudioVlay (mittlerweile StudioVlayStreeruwitz) entworfene Wohnbau für den gemeinnützigen Bauträger Wohnungseigentum, da es sich ausschließlich um freifinanzierte Wohnungen handelt – was nicht heißt, dass sich die Bauträger bei diesen Projekten nicht ebenfalls an den Qualitätenkatalog gehalten hätten. Das gilt auch für die Bauplätze 1 und 2, die nach Plänen von Rüdiger Lainer vom Immobilienentwickler Soravia mit einer Konzernzentrale und einem Hotel bebaut wurden (siehe dazu den Projektbericht auf Seite 38). Im Qualitätenkatalog wurde außerdem festgelegt, dass die auf dem Bauplatz 8 errichtete Neue Mittelschule in einem offenen Gestaltungswettbewerb ermittelt werden musste. Gewonnen hat ihn Schluder Architektur aus Wien. Im September geht die Schule in Betrieb – einen ausführlichen Projektbericht wird es hier in der Oktoberausgabe geben.
Grüne Stadt
Zu einer Stadt gehören Grünflächen. Besonders bei diesem Projekt waren die umfangreiche horizontale und vertikale Begrünung, eine gemeinsame Freiraumgestaltung sowie die Schaffung von Urban-Gardening-Flächen ein wesentliches Kriterium des Qualitätenkatalogs. Die Wiener Landschaftsarchitekten Auböck & Kárász waren beim kooperativen Planungsverfahren dabei, der Masterplan der Grünflächen im gesamten Areal stammt von ihnen.
Mit der Frage, wie die zukünftigen Bewohner dazu gebracht werden könnten, die begrünte Fassade zu unterstützen, hat man sich besonders bei der Wien-Süd beschäftigt. Es wurden Musterpflanzentröge angelegt und den Bewohnern verschiedene Pflanzpakete zur Auswahl angeboten, erzählt Wien-Süd-Projektleiter Michael Sillipp. Nach der Besiedlung will der Bauträger den Bewohnern die Möglichkeit bieten, die Dienste eines Gärtners in Anspruch zu nehmen. Um den Zustand der üppigen Grünflächen, wie er in den Visualisierungen lockt, möglichst rasch zu realisieren, werden noch diesen Herbst – dem Konzept von Harry Glück entsprechend – zwischen den Baukörpern große Bäume gepflanzt, die bereits einen Stammdurchmesser von rund 30 Zentimeter erreicht haben.
Bäume wird es auch im Bereich der Schule sowie der Plätze zu beiden Seiten der sogenannten „Mikrozone“ geben – ein weiteres Kriterium des Qualitätenkatalogs. Zwischen den Bauteilen 4 (Gesiba) und 8 (Wien-Süd) soll Altstadtgefühl entstehen – mit einer Flanierzone zwischen kleinen und größeren Geschäften sowie unausgebauten Räumlichkeiten, die günstig an Initiativen vermietet werden. Verwaltet werden diese Flächen von den Bauträgern. Geschützt wird diese Mikrozone durch eine Arkade aus beidseitig durchgehenden Vordächern. Ökologisch im Sinn einer Kreislaufverwertung wird auch das Regenwasser
am Areal der Biotope City gemanagt. Der größte Teil des anfallenden Wassers dient zur Bewässerung der Grünflächen, die Überschussmengen werden in den Wienerbergteich im Erholungsgebiet sowie in ein – zurzeit unterversorgtes und durch Rotalgenbefall in Mitleidenschaft gezogenes – Biotop am Wohnareal geleitet. Die ersten Bewohner sind im Vorjahr eingezogen. Ebenso sind der Kindergarten, die Schule, das Hotel und die Konzernzentrale bereits fertig. Die Mikrozone soll im Lauf des Herbstes besiedelt werden. Mit Ausnahme des ÖSW-Wohnbaus auf Bauplatz 3, dessen Fertigstellung für das erste Halbjahr 2021 geplant ist, wird die Biotope City also spätestens im Oktober den ersten Praxistest als „Stadt in der Natur“ zu bestehen haben.
Informationen
biotopecity.wien
Projekt
Biotope City Wienerberg, Triester Straße 91, 1100 Wien
Interdisziplinäres Planungsteam
Harry Glück (Stadtplanung/Architektur) Helga Fassbinder (Stadtplanerin)
Maria Auböck, Janos Kárász (Freiraumplanung)
Renate Rödel, Franz Sumnitsch (BKK-3)
RLP Rüdiger Lainer + Partner (Stadtplanung/Architektur)
Andreas Käfer (Stadtplanung/Architektur)
TraffiX (Mobilitätskonzept, Verkehr)
Bernhard Scharf (Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau)
Margarete Huber, Raimund Gutmann (wohnbund consult, soziale Quartiersentwicklung und Partizipation)
Planende Architekten
RLP Rüdiger Lainer + Partner
BKK-3
HD Architekten
Peretti + Peretti
StudioVlayStreeruwitz
Landschaftsplanung / Umweltplanung
Vorentwurf: Auböck & Kárász
Entwurf und Ausführung: Knollconsult
Quartiersmanagement
Caritas Stadtteilarbeit
Übergeordnete Projektsteuerung
Lehner Real Consulting, Robert Kopeinig
Bauplätze
- Bpl. 01+02: The Brick
Bauträger: Soravia
- Bpl. 03: Urban im Grünen leben
Bauträger: ÖSW, Wohnungseigentum
- Bpl. 04.1+04.2: Urbane Achse I –Bauten für das Stadtleben
Bauträger: Gesiba
- Bpl. 05: Zelda-Kaplan-Weg 5
Bauträger: Wien-Süd
- Bpl. 06: Wohnen mitten im Park
Bauträger: Arwag
- Bpl. 07: Urbane Achse II – Bauten für das Stadtleben
Bauträger: Gesiba
- Bpl. 08: Neue Mittelschule
Biotope City
Bauträger: Gesiba
- Bpl. 09: Zelda-Kaplan-Weg
Bauträger: Wohnungseigentum
- Bpl. 10: Hochh(in)aus
Bauträger: Mischek Wiener Heim
- Bpl. 11+12+14: Amelie
Bauträger: Buwog
- Bpl. 13: Zelda-Kaplan-Weg
Bauträger: Wien-Süd
Projektdaten
Gesamtareal: 50.000 m²
ca. 990 Wohnungen: davon 400 geförderte Wohnungen und 200 SMART-Wohnungen
152 Hotelzimmer
1 Schule, 1 Kindergarten
2000 m² Kinder-/Jugendspielplätze
600 m² Gemeinschaftsgärten
3850 m² Erdgeschoßgärten
2500 Radabstellplätze
1720 m² Gemeinschaftsräume
ca. 20.000 m² Gewerbeflächen
ca. 250 Bäume
8900 m² Wiesenflächen
930 m² Staudenflächen
13.600 m² Dachbegrünung
2200 m² Fassadenbegrünung
760 m² Retentionsteich
Projektablauf
Kooperatives Verfahren, Masterplan, Qualitätenkatalog 2015
Baubeginn Herbst 2017
Fertigstellung 1. HJ 2021
Wettbewerbsdokumentation
ARCHITEKTURJOURNAL / WETTBEWERBE
4/2017 (333)
Der Artikel als PDF
- HELIO Tower
- Corporate Brick Architecture