Architekten fühlen sich dadurch in ihrer Kreativität eingeschränkt. Politik und Wohnbauwirtschaft sehen das anders.
Wohnen ist ein Menschenrecht. Und dass leistbarer Wohnraum zur Verfügung gestellt werden soll, darin sind sich in Österreich die meisten Politiker mit der Mehrheit der Experten einig. Über die Frage, in welchen baulichen und architektonischen Qualitäten dieser leistbare Wohnraum zur Verfügung gestellt werden soll und wie architektonische, ökonomische, soziale und ökologische Qualitäten im sozialen Wohnbau garantiert werden können, diskutierten Mitte September im architekturforum oberösterreich Wohnbauexperten, Architekten sowie Vertreter der mineralischen Baustoffindustrie. Veranstalter waren die Plattform BAU!MASSIV! und das architekturjournal wettbewerbe. Anlass war der heftig umstrittene „Standard-Ausstattungskatalog für den Wohnbau“ des oberösterreichischen Wohnbaulandesrates Manfred Haimbuchner (FPÖ), der ab 2015 gilt und als Basis für die Wahl der Ausstattungen in der Planung und Ausführung im geförderten mehrgeschoßigen Wohnbau „nicht oberste Qualitätsstandards, sondern gute Standards in Hinblick auf Nachhaltigkeit“ festlegt. „Die Leistbarkeit des Wohnens sicherzustellen ist eine soziale Verantwortung“, die er wahrnehme, wie Landesrat Haimbuchner am Podium festhielt.
Vernünftiger bauen!
Dass die Situation am österreichischen Wohnungsmarkt eine vergleichsweise gute ist, schilderte Wolfgang Amann, Geschäftsführer des Instituts für Immobilien, Bauen und Wohnen (iibw): Während der Anteil der Wohnkosten am verfügbaren Haushaltseinkommen weltweit steigt und Eurostat dafür einen Grenzwert von 40 % vorschlägt, liege dieser Faktor in Österreich immer noch unter 22 %. Dennoch, so Haimbuchner, sei ein Ende der Kostenspirale im geförderten Wohnbau notwendig. „Vernünftiger bauen!“, plädierte er vor allem an die Adresse der Architekten. Sozialer Wohnbau müsse keine aufwändigen Fassadenkonstruktionen oder Laubengänge haben, so der Landesrat. Damit machte er sich bei einem Teil des Podiums und der Besucher nicht unbedingt beliebter. Bettina Brunner von x architekten, bis vor kurzem Sektionsvorsitzende Architekten in der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten Salzburg/Oberösterreich, zeigte sich davon überzeugt, dass Architekten, die schlussendlich für das gebaute Umfeld verantwortlich seien, die größtmöglichen Freiheiten in der Gestaltung brauchen.
„Denn Architektur darf nicht nur als Behübschung verstanden werden“, meinte die Architektin. Vielmehr sei es ihre Aufgabe, das Verhältnis zwischen Struktur, Funktion und Material ausgeglichen zu gestalten.
Qualitätswahnsinn?
In dieselbe Kerbe wie Haimbuchner schlug hingegen Karl Wurm, Obmann des Österreichischen Verbands Gemeinnütziger Bauvereinigungen (gbv): „Der Qualitätswahnsinn, den wir uns nicht mehr leisten können, muss gestoppt werden!“ Er meinte damit beispielsweise großzügig geplante Stiegenhäuser, die als Treffpunkt der Bewohner einer Wohnhausanlage gedacht sind, aber aufgrund von restriktiven Brandschutzbestimmungen gezwungenermaßen leer stünden. „Sozialer Wohnbau muss nicht alle Stückeln spielen, Kreativität ist auch innerhalb eines Rahmens möglich“, so Wurm, der mit den Stückeln auch den verordneten Passivhausstandard im geförderten, mehrgeschoßigen Wohnbau ansprach. Unabhängige Vereine würden dabei ihre Interessen vorantreiben und fälschlicherweise suggerieren, dass das Passivhaus weniger koste, kritisierte der Wohnbauexperte, der sich dabei auf eine vom gbv erstellte Studie zur Energieeffizienz im mehrgeschoßigen Wohnbau bezog.
Das bestätigte Martin Leitl, im Fachverband der Stein- und keramischen Industrie für die Technologie & Marketing Plattform zuständig. Beim energieeffizienten Bauen, so Leitl, sei mit einem Aufwand von 20 Prozent 80 Prozent des möglichen Nutzens erzielbar. Er warnte davor, die restlichen 20 % erreichen zu wollen. Das sei zu vernünftigen Preisen nicht möglich, die Fehleranfälligkeit der Haustechnik sei zu hoch.
Jeden Tag eine neue Norm
Während iibw-Geschäftsführer Wolfgang Amann einwarf, dass für diese Studie nur alte Passivhäuser untersucht worden seien und damit andeutete, diese sei nicht repräsentativ, stimmte Wohnbaulandesrat Haimbuchner der Ansicht des Gemeinnützigen-Obmanns Wurm zu: „Das Niedrigenergiehaus hat sich bestens bewährt, Mehrkosten für ein Passivhaus sind sinnlos!“ Generell, so beklagte der Landesrat, sei der Sektor Wohnbau der „Klimaschutz-Mistkübel“. Während seiner Meinung nach beim Verkehr oder der Industrie kaum Klimaschutzmaßnahmen durchgesetzt werden, müsse der Wohnbau alles schlucken.
Als einer der wesentlichen Teuerungsfaktoren im Wohnbau sah sich auch die Normengebung in Österreich heftiger Kritik vom Podium und von Teilen des Publikums ausgesetzt. Politischer Druck sei notwendig, um diese „einzufangen“, wie Wurm forderte. Denn: „Wer entriert die Normen, wer bezahlt sie und wem nützen sie – außer der Industrie?“ wollte der gbv-Obmann wissen.
Antwort bekam er in diesem Rahmen keine, lediglich Architektin Bettina Brunner glaubt eine Erklärung gefunden zu haben, die in der privatwirtschaftlichen Natur des Geschäftsmodells liegt: „Ziel des Normungsinstitutes ist es, jeden Tag eine neue Norm zu erfinden und diese zu verkaufen“, so Brunner.
Von der Kultur zur Unkultur
Dem Thema der Veranstaltung entsprechend kam auch die Baukultur nicht zu kurz in der Diskussion. Karin Stieldorf vom Institut für Architektur und Entwerfen an der TU Wien brach eine Lanze für sie. Baukultur habe eine Bedeutung für die Gesellschaft, „Design for all“ sei aber keineswegs mit Barrierefreiheit für alle gleichzusetzen, sprach Stieldorf die entsprechenden Wohnbauförderrichtlinien der Bundesländer an – und bekräftigte damit Haimbuchners Ansicht, dass nicht jedes Geschoß in einem Wohnbau barrierefrei geplant sein müsse. Baukultur werde aber von Menschen gelebt, warf gbv-Obmann Karl Wurm ein. Folglich müsse sie auch die Leistungsfähigkeit der Gesellschaft abbilden. Andernfalls handle es sich um „Unkultur“, so Wurm, der von allen Beteiligten „mehr Demut“ im Bereich des sozialen Wohnbaus einforderte.
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