358 Thema

Architektur für die Wissensgesellschaft

© Andrea Maretto
Innenhof des Lycée Schorge. Die offene Anlage dient sowohl privaten Zusammenkünften als auch Veranstaltungen.
© Andrea Maretto

Aktuelle Anforderungen an Bildung verlangen ein Umdenken in der Planungsphase. Entsprechende Räumlichkeiten für innovative Konzepte zu Lehr- und Erfahrungsräumen müssen einen selbstverständlichen Umgang mit Digitalisierung, Konnektivität, Inklusion und ganzheitlichen Bildungskonzepten ermöglichen.

von: Susanne Karr

Neue Unterrichtskonzepte bewegen sich seit Langem immer weiter weg von klassischen Lehrmethoden. In der Ausbildung des 21. Jahrhunderts geht es eher um Entfaltung kreativer und kommunikativer Fähigkeiten als um stures Einpauken fixer Lehrinhalte, vermeintlich wichtiger Daten oder das Auswendiglernen klassischer Bildungskanons.
Zukunftsfähige Bildungsbauten folgen Konzepten, die auch für neu gedachte Arbeitsräume relevant sind. Dabei gelten flexibel verwendbare, offene Räume als Muss. Kommunikation und Wissensvermittlung bzw. -austausch sowie lösungsorientiertes Denken und die Erkenntnis von Zusammenhängen stehen an oberster Stelle. Bei der Ausbildung und Förderung dieser Eigen­schaften spielen Bildungseinrichtungen eine wichtige Rolle. Das Konzept vom Raum als drittem Pädagogen entstammt ursprünglich der italienischen Reformpädagogik und fokussiert auf einen Bildungsstil, in dem Lernende sich im Raum geborgen fühlen. Als erster und zweiter Pädagoge gelten Lehrende und Mitschüler. Das bedeutet, dass der Einfluss, den Räume auf Verhalten, psychisches und physisches Wohlbefinden sowie kreative Entfaltung haben, nicht unterschätzt werden darf.

Schulbaupioniere
Die Idee, Schulen ohne Klassenzimmer zu planen und offene Räume zu propagieren, stammt aus den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Extrem zukunftsorientiert fiel beispielsweise die Ursulinenschule des Tiroler Architekten Josef Lackner in Innsbruck aus – ausgerechnet im Auftrag eines katholischen Ordens. In den Worten von Ivona Jelčić und Günter Richard Wett, die für das Tiroler Architekturzentrum aut (Architektur und Tirol) den Film „Der Raum als dritter Pädagoge“ produziert haben, war der Bau in den 1970er-Jahren „wie ein Raumschiff im Westen der Stadt gelandet“. Josef Lackner verstand seinen Entwurf explizit als Replik auf das von ihm kritisierte, bis dahin übliche „bauernhofmäßige, behäbige“ Design von Schulen. Sein Gymnasium hingegen ist als großzügige Landschaft entworfen, mit fließenden Übergängen zwischen Sport und Freizeit. Konstruktion und Licht sind konsequent zusammengedacht – die Lichtführung kommt immer von oben.

Alarmierend langsame Umsetzung
Auch in Tirols erster „Hallenschule“, dem Bundesschulzentrum Wörgl, gab es bereits einen für alle öffentlich zugänglichen Kommunikationsraum in Form einer quadratischen Zentralhalle – ein Designelement, auf dessen Wichtigkeit heute, im Umfeld von Kommunikations- und Wissensgesellschaft, immer wieder hingewiesen wird. Das von den Architekten Viktor Hufnagl und Fritz Gerhard Meier geplante Gebäude gilt als wegweisendes Projekt. Immer wieder alarmierend zu beobachten: Wie lange Innovationen von Prototypen bis zu einer weithin anerkannten Umsetzung brauchen und wie langsam sich Reformen tatsächlich großflächig durchsetzen.
Viele Details aus dieser Pionierzeit werden heute vermehrt umgesetzt. Gerade die Digitalisierung spielt dabei eine Rolle, aber auch die gesamte gesellschaftliche Veränderung, die durch globale Konnektivität entsteht. Kinder und junge Erwachsene
haben heute einerseits durch digitale Me­dien einen internationaleren Horizont, andererseits verschieben sich Kommunikations- und Konzentrationsmuster. Laut Auflistung des World Economic Forum waren die relevantesten Skills für zukünftige Arbeitssuchende im Jahr 2020: die Fähigkeit, Probleme zu erkennen und zu lösen, kritisches Denkvermögen und Kreativität. Es folgen Management und Koordination von Teams, emotionale Intelligenz, Entscheidungsfähigkeit, Serviceorientierung, Verhandlungsgeschick und geistige Flexibilität. Das bedeutet: Die Gestalter des Schulalltags sind gut beraten, diese Skills zu fördern – inklusive Architektur, Personal und Unterrichtsmethoden.

Flexibilität und Mehrfachnutzung
Das Angebot für Ganztagsunterricht nimmt stetig zu und Gesamtschulen sind mittlerweile ein verbreitetes Modell. Neue Richt­linien für den Bildungsbau, wie vom Österreichischen Institut für Schul- und Sport­stättenbau ÖISS formuliert, spiegeln diesen anhaltenden und unumkehrbaren Trend wider. Das ÖISS ist Teil der internationalen Plattform „Learnscapes“, die sich intensiv mit der Schaffung von Schulreiräumen und der Verbindung von Schule und Gemeinde befasst. Ein zentrales Anliegen ist eine flexible Verwendung von Freiräumen wie Schulhöfen und Sportplätzen. Mit dem Stichwort Mehrfachnutzung stellt sich ein praktikables Beispiel dar, wie Infrastruktur außerhalb der regulären Schulzeiten auch anderen Gesellschaftsmitgliedern zur Verfügung gestellt werden kann.
International zeigt sich auch eine wachsende Forderung nach mehr Integration, baulich verankert in barrierefreien Räumen. Gewünscht sind insgesamt weniger Vor­gaben und mehr interaktiver Gestaltungsraum. In einer breit angelegten Studie mit dem Titel „Creative learning environments in education – a systematic literature review“ aus Schottland heißt es: „Im Kontext von Einrichtungen für Kleinkinder kann dies den Verzicht auf themenspezifische Rollenspielbereiche und Requisiten bedeuten, um der Fantasie der Kinder mehr Freiraum zu geben. Die Kinder und ihre Eltern sollten so weit wie möglich in die Planung und Bereit­stellung dieser Räume einbezogen werden“, lautet die Empfehlung.
Schulen auf heutige Anforderungen hin zu gestalten verlangt bereits in der Planungs­phase große Veränderungen. Das österreichische Architekturbüro fasch&fuchs gehört zu den Experten im Schulbau – insgesamt 60 Schulen haben sie geplant, rund ein Drittel der Entwürfe wurde umgesetzt. Hemma Fasch betont, wie wichtig es ist, gemeinsam mit den zukünftigen Nutzern zu erkunden, was gebraucht wird. Intensive Interaktion ist gefragt, um Ergebnisse zu erreichen, mit denen man „vom Inhaltlichen bis zum Persönlichen und Pädagogischen eine breite Vielfalt abdecken kann“. Im von fasch&fuchs.architekten geplanten Schulcampus Neustift (2019) wurde ein Raumangebot geschaffen, in dem vieles stattfinden kann. Die Lesetreppe etwa versteht sich als Gegenentwurf zu Korridoren, in denen nur ein einziges Format in fixen Klassenzimmern stattfinden kann. Offenheit für unterschiedliche pädagogische Konzepte ist wichtig. Das Thema Transparenz wird auch auf einer symbolischen Ebene verdeutlicht: Als Gegensatz zum Eingesperrtsein in kleinen Klassenräumen werden Freiräume im Außenbereich zugeordnet.

Campus und Theater
Seit einiger Zeit erlebt auch die Campusidee ein Revival. Das Prinzip stammt aus den Anfängen der Universität im Mittelalter. Und auch das alte Amphitheater steht oft Pate bei Planungen. Es eignet sich besonders für wärmere und trockenere Regionen, etwa für das Gymnasium Lycée Schorge in Burkina Faso. Überzeugend setzt das Büro Kéré Architecture die Ansprüche an zeit­gemäße Gestaltung, Nachhaltigkeit und Offen­heit von Bildungsbauten um. Neun luftige Module reihen sich kreisförmig um einen zentralen öffentlichen Innenhof, der für Veranstaltungen und informelle Treffen ver­wendet wird. Als Baumaterial dienen Ziegel aus regionalem Lateritgestein, das unter dem Einfluss von Hitze und Wind auszuhärten beginnt. Eine massive, wellenförmige Decke aus Gips- und Betonelementen, überhängende Dächer und Windfang­türme senken die Temperatur in den Innenräumen. Eine filigrane Eukalyptusfassade umhüllt die Klassenzimmer und dient zugleich als Beschattungselement für die umgebenden Räume. Der Schultag organisiert sich idealerweise um verschiedene Anlaufstellen. In flexiblen und vielseitig bespiel­baren Lern­umgebungen können Kinder ihre Kreativität besser entfalten. „65 Prozent der Kinder, die heute in die Grundschule kommen, werden später Berufe haben, die es noch nicht gibt. Schulen müssen daher selbstständiges Lernen ermöglichen, um die Kinder fit für die Zukunft zu machen. Design kann diesen Prozess unterstützen, indem es uns dazu anregt, unser Verhalten zu ändern.“ So formuliert die Kopenhagener Architektin Rosan Bosch, zu deren Hauptaufgaben Planung und Design von Schulen gehört, ihren Zugang. „Lernumgebungen müssen jeden Lerntypus ansprechen und motivieren können.“

Sechs Prinzipien
Weil jeder Mensch anders lernt und Lernsituationen sich in unterschiedlichen Phasen abspielen, geht ihr Raumkonzept von sechs Prinzipien aus, um eine möglichst vielseitige und anregende Basis dafür zu geben: Dazu gehört der „Berggipfel“ (Mountain Top), ein Ort des Überblicks und der zentralen Rednerposition, aus der einer sich an mehrere wendet. Das kann ein Schüler ebenso wie ein Lehrer sein. Die „Höhle“ (Cave) bezeichnet einen Rückzugsraum für konzentrierte Einzelarbeit und Reflexion. Das „Lagerfeuer“(Campfire) eignet sich für gruppenbasierte Lernsituationen. Eine Wasser­stelle (Watering Hole) wird zum informellen Treffpunkt, ähnlich einem Café oder einer Bar, an der man sich zufällig trifft. Am „Praxisort“ (Hands-on) verbinden sich Theorie und Praxis in einem Ort, an dem man etwas ausprobieren kann. Einsicht und Spiel verbinden sich. Und schließlich die „Bewegung“ (Movement). Dass Bewegung auflockert, Laune und Haltung verbessert und frischen Wind in konzentrierte Phasen bringt, ist längst bewiesen.

Lernen soll aufregend sein
Die Bezeichnungen lassen eher auf Outdoorabenteuer denn auf pädagogische Bauten schließen, aber diese Assoziationen sind gewollt. Denn Lernen soll abenteuer­liche und aufregende Aspekte haben.

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